Von Serge Stauffers künstlerisch-innovativem Geist durchweht: Ausstellungsraum im Zürcher Helmhaus.
Mitteilungen
Vision Kunst-Labor
26.03.2013
NZZ Neue Zürcher Zeitung von Philipp Meier
Eine Ausstellung zum Gründer der F+F Schule Serge Stauffer im Helmhaus Zürich. Als Theoretiker, Kunstvermittler, Duchamp-Spezialist und Mitbegründer der F+F Schule verstand sich Stauffer selber stets als «forschender Künstler».
 
Ohne jene anarchistisch-antiautoritäre Offenheit für individuelle Weltentwürfe der siebziger Jahre würde die Kunstwelt heute bestimmt anders, wohl um einiges langweiliger aussehen. Und ohne die Rebellion einiger experimentierfreudiger, offenherziger und weitsichtiger Zürcher Künstler-Theoretiker, Forscher-Künstler und Kunstvermittler wäre die Limmatstadt heute wohl um eine wichtige Kunstschule ärmer. Aus dem Zoff mit den Obrigkeiten an der damaligen Kunstgewerbeschule KGSZ (heute Zürcher Hochschule der Künste) ist schliesslich die F+F Schule für experimentelle Gestaltung Zürich hervorgegangen (heute F+F Schule für Kunst und Design).
 
Unkonventionelle Kunstpraxis.
 
Treibende Kraft hinter der Gründung einer experimentellen Klasse an der Kunstgewerbeschule im Jahr 1965 – sie nannte sich Farbe und Form (F+F) – war Serge Stauffer (1929–1989). Erstmals gibt nun eine Ausstellung Einblick in Leben und Werk dieses bedeutenden Schweizer Künstlers, Kunsttheoretikers und Duchamp-Kenners. Als Mitbegründer der Kunstschule F+F hat Stauffer eine ganze Generation von Studierenden geprägt. Die Schau im Helmhaus zeigt Arbeiten von Stauffer selber und von seinem Umfeld. Sie vermittelt solcherweise einen neuen Blick auf die künstlerischen Experimente in Zürich während einer Zeitspanne von den fünfziger bis zu den siebziger Jahren und auf eine in der Limmatstadt betriebene unkonventionelle Kunstpraxis mit internationaler Ausstrahlung.
 
Als Fotograf selber an der Kunstgewerbeschule ausgebildet, dann tätig als Grafiker und Fotograf und später auch als Lehrer an der Fotoklasse der KGSZ, verstand sich Stauffer stets als ein «forschender Künstler». Er experimentierte und ging für seine Zeit ausgesprochen spielerisch mit den künstlerischen Medien um. Vom klassischen Selbstverständnis des Künstlers mit Ausstellungen, mit einer Galerie, mit Katalogen zu seinem Œuvre, mit Aufträgen für öffentliche Arbeiten oder mit einer Präsenz eigener Arbeiten in Kunstsammlungen war Stauffer jedenfalls weit entfernt. Als Künstler entzog er sich solchen Zwängen. Und als facettenreicher Kunstvermittler trat er vielmehr in Erscheinung mit Vorträgen und «Shows» oder mit experimentellen Beiträgen in «Overground»-Zeitschriften und anderen besonderen Formaten der Kunstveröffentlichung.
 
So bestand das Wesen seiner «Kunst» vorab darin, an der F+F Schule, die 1971 gegründet wurde und der er bis 1978 zusammen mit Hansjörg Mattmüller vorstand, die freie Kreativität anderer anzuregen, eine eigene Kunsttheorie zu entwickeln, sich für einen Ort der Kunstforschung (Kunst-Labor) starkzumachen sowie seine Einsichten über den aktuellen Stand der Kunst in praktischer Form zu vermitteln. Seine gesamte Arbeit als Lehrer, Performer, Übersetzer und Publizist, aber auch als Autor eines eigenen bildnerischen Schaffens sowie von Dichtungen und Tagebüchern verstand er als Bestandteil seiner Forschungen im Namen der Kunst. Einen solchen Kunst-Forscher par excellence fand er überdies in der Person Marcel Duchamps. Seine Übersetzungen von dessen Texten sollten seinen Studenten offenlegen, wie sehr dieser Künstler selber die Möglichkeiten und Grenzen der Kunst ausgelotet und erörtert hatte.
 
Freie Gestaltungspädagogik.
 
Neben den im Helmhaus präsentierten Arbeiten von Stauffer und seiner Frau Doris sind auch solche seiner Freunde und Mitstreiter wie etwa André Thomkins zu sehen. Thematisiert wird überdies die Gründung der Klasse Form und Farbe an der Kunstgewerbeschule sowie der von Doris Stauffer eingeführte Kurs «Teamwork», in dem Happenings und politisches Engagement wie die Frauenbefreiungsbewegung wichtig waren. Solche Engagements gipfelten nicht zuletzt in dem Protest und Austritt von Lehrern und Schülern aus der restriktiven Kunstgewerbeschule, was schliesslich zur Gründung der F+F Schule für experimentelle Gestaltung Zürich führte. Dort entstand ein Raum, in dem freie Gestaltungspädagogik erprobt werden konnte. Arbeiten von Stauffer-Schülern wie Rudolf de Crignis, Klaudia Schifferle, Liliane Csuka, Ruedi Bechtler oder Christina Kubisch veranschaulichen, wie Stauffers Ansatz einer system- und ideologiekritisch, sozial und psychologisch durchsetzten Kunsttheorie von Kunstschaffenden aufgegriffen und künstlerisch umgesetzt wurde.
 
Serge Stauffers künstlerisch-innovativer Geist selber durchweht überdies den ganzen grossen Ausstellungsraum in Gestalt einer experimentellen Landschaft: Hier bilden 216 Würfel, die auf dem von Stauffer 1960 entworfenen Kombinationsspiel «Jardin public» basieren und von Hand eigens für diese Ausstellung angefertigt wurden, einen verspielten Aufenthaltsraum: Von den Besucherinnen und Besuchern können die Elemente frei zusammengeschoben, gestapelt und als Sitzgelegenheit genutzt werden.
 
Zürich, Helmhaus, 26. März bis 14. April 2013. Publikation: Serge Stauffer: Kunst als Forschung. Essays, Gespräche, Übersetzungen, Studien. Verlag Scheidegger & Spiess. Text von Philipp Meier NZZ: Vision Kunst.