F+F Festival, Bettina Diel, 2021
Das Festival zum 50-jährigen Bestehen der F+F Schule für Kunst und Design im Migros Museum für Gegenwartskunst war in dieser Form auch für Rektor Christoph Lang, Projektleiter ff1971, Michael Hiltbrunner und eine Arbeitsgruppe bestehend aus Geraldine Tedder, Daniel Hauser, Sabine Hagmann und Tasnim Baghdadi eine Art Novum. Die anhaltende Corona-Pandemie machte den Anlass zum Thema «Radical Education» in organisatorischer Hinsicht zwar nicht gerade zum Kinderspiel, Rektor Lang gibt sich nach zwei Festivaltagen aber dennoch sehr zufrieden: «Es war fantastisch zu sehen, wie sich die Leute vermischt haben – alte und junge Leute, Menschen, die wir noch nicht kannten. Der Austausch in einem vollen Raum war sehr toll.» Vor allem das Pecha Kucha, in dem ehemalige Dozierende wie Monika Dillier, Peter Jenny, Mélanie Moser oder Mike Hentz und Schüler:innen der F+F in 20 Bildern à 20 Sekunden einen Kurzvortrag hielten, sorgte bei Lang für Begeisterung: «Das war sehr interessant. Dass wir auch einen YouTube-Stream davon gemacht haben, finde ich grossartig. Das Video wird auch jetzt noch oft angeklickt.»
Bezüglich des Zeitpunkts gibt sich Lang selbstkritisch – auch, wenn die Festivalleitung einige Faktoren wie z.B. die Zertifikats-Pflicht nicht beeinflussen konnte. Ausserdem sei der Semesterstart an den Hochschulen in dieselbe Woche gefallen – «das war nicht optimal». Aber: «Einen Teil des Semesters als Festival zu begreifen und öffentlich zu machen, fände ich eine reizvolle Form». Die nächste Chance dazu ergibt sich mit dem «Grand Hotel F+F» bereits im Juli 2022.
Nicht nur beim F+F-Rektor, auch beim Publikum waren die Reaktionen auf das F+F-Festival durchwegs positiv, sogar wenn viele Gäste aus unterschiedlichen Gründen nicht dabei sein konnten: «Von ihnen wurde grosses Interesse an den Themen formuliert», fasst Lang zusammen.
Ähnlich sieht es Projektleiter Hiltbrunner: «Es war grossartig, zu sehen, dass die verschiedenen Generationen dieser Schule und auch andere Interessierte zusammenkommen und die heutige Situation mit dem alten Archiv verhandeln können.» Selbst wenn der Ansturm auf das Festival am Freitag erst gegen den Abend zunahm, ist Hiltbrunner von den vielen Workshops, Vorträgen und Spaziergängen mehr als angetan: «Man möchte, dass so etwas wieder stattfindet – und das nicht unbedingt nur im Museum, sondern auch an unserer Schule oder sonst wo. Seien es extreme Beispiele wie die Klausur [von Mike Hentz] oder Diskussionen mit dem Künstlerinnen-Kollektiv Justament: Das macht Lust auf mehr!»
Text: Laszlo Schneider
«Eine Sprache mit Bildern entwickeln»
Würfelzucker, Peter Jenny, 1971
Peter Jenny, Mitbegründer der F+F Schule, eröffnet den Pecha Kucha-Abend. Bereits mit den ersten Worten Jennys erwacht die F+F Schule der Gründungsjahre zum Leben. «Kreativität» ist eines der ersten und im Verlauf von Jennys Präsentation eines der am häufigsten wiederkehrenden Worte. Für ihn sei der Ausgangspunkt jeweils «der kreative Umgang mit Standesregeln.» gewesen. F+F bedeutet für Jenny daher nicht nur Farben und Formen sondern auch Frage und Form. Für seinen Unterricht von grosser Wichtigkeit war «etwas in unterschiedlichen Umgebungen zu untersuchen» und dabei stets auf das besondere Verhältnis von Bild und Wort zu achten. Er erzählt von seiner ständigen und reziproken Suche nach Worten für Bilder, die – wie sich im weiteren Verlauf des Referats herausstellt – während des Unterrichts in die Entwicklung einer Bildsprache mündete. «Eine Sprache mit Bildern entwickeln», wie Jenny es ausdrückt. Dass sich die Kreativität aber nicht nur auf das Hinterfragen von gesellschaftlichen Normen und Konventionen und den künstlerischen Umgang damit an der F+F bezieht, sondern beispielsweise auch den kreativen Umgang mit limitierten Ressourcen in der Gestaltung bedeuten kann, zeigt sich am Beispiel der Verwendung von Würfelzucker – von Jenny als «lego povera» bezeichnet – in einem der gezeigten Werke, in welchem die Würfel zu einem Kreuz und anderen Formen angeordnet wurden.
Mit der Erwähnung Jennys von Rezepten wird deutlich, dass «Radical Education» nicht eine Loslösung jeglicher Strukturen im künstlerischen Schaffen meint, sondern dass Strukturen und Anleitungen eine wichtige Quelle der Kreativität sein können. Rezepte würden von Kreativen zwar gemieden werden, für Jenny aber ist Struktur im Sinne von Nachahmung die Grundlage der Kreativität. In der Entwicklung einer eigenen Bildsprache – um nochmals auf die Dualität von Bild und Wort zurückzukommen – könnte «Radical Education» zudem als eine Aufforderung eigene Strukturen zu finden verstanden werden.
Eine besonders hochwertige Zutat im Rezept einer «Radical Education» wie sie an der F+F gelebt wurde und wird, ist für Jenny, dass die Schüler an der F+F den Unterricht stark mitprägen und mitgestalten, ja, dass, die Rolle von Lehrenden und Lernenden sogar fliessend sein kann. Ebenso bedeutend ist aber die Fähigkeit gute Aufgaben stellen zu können: «Eine gute Aufgabe ist die, die möglichst viele Lösungen zulässt, hinter der die Aufgabe verschwindet.»
Text: Anamaria Novak
«Für eine Mehrfachbelichtung benutzten wir Knäckebrot - das mit den vielen Löchlein»
Fotoperformance, Mélanie Moser, 1981
Mélanie Moser besuchte die Fachklasse Fotografie von 1975-77 und unterrichtete an der F+F von 1981-2000. Im Kurs mit dem Titel Foto heute überraschte, so Moser, gleich mehreres: Die Tatsache, dass der Kurs von einer Frau unterrichtet wurde – war der Beruf des Fotografen in den 80er Jahren doch eher männlich konnotiert. Zweitens, dass der Schwerpunkt nicht auf dem Erlernen technischer Grundlagen lag: «Objektive, Blenden, Verschlusszeiten, Isowerte etc. waren irrelevant. Wir hatten wichtigeres zu tun als uns hinter dem Technikkram zu verschanzen.» Zudem waren nicht einmal Vorkenntnisse oder der Besitz einer Kamera Voraussetzung, denn verwendet wurden Wegwerfkameras, Sofortbildkameras oder die damals populäre Lomo. Häufig bastelten sie ihre Kameras sogar selbst, schossen ihre Selfies mit der Lochkamera und verwendeten für deren Herstellung zum Beispiel Schuhschachteln, eine Coladose oder eine Peperoni – für eine Mehrfachbelichtung benutzten sie etwa «Knäckebrot - das mit den vielen Löchlein». Das experimentelle Fotolabor, in dem alles erlaubt war und in welchem fortan die Künstler das Feld der Fotografie eroberten, bezeichnet Moser konspirativ als Hexenküche: «Im schummrigen Rotlicht trieben die Geister ihr Unwesen (…)». Die Kluft zwischen den Profifotografen und den Künstlern beschreibt Moser in jener Zeit als gross. Die traditionelle Hochglanzfotografie war mit den Herangehensweisen der Künstler und deren Fotokunst nicht vereinbar. Die Künstler integrierten auch ihre Kameras auf unerwartete Weise: Sie zersägten diese, um damit Schmuck, Fotogramme und Skulpturen herzustellen. Die Kamera selbst wurde zur Kunst. Moser erklärt weiter, dass im Kurs neben den impulsiven und experimentellen Übungen auch die Auseinandersetzung mit theoretischen Überlegungen wichtig war und zitiert dafür aus fotokritischen Texten von Robert Frank oder Susan Sontag. So blieb es im Kurs nicht allein bei der experimentellen Fotografie. Moser realisierte mit ihren Lernenden auch Arbeiten zum Thema Bild und Wort. Oder sie folgten den Ansätzen Michael Köhlers, warteten nicht darauf, dass etwas passierte und inszenierten einen Banküberfall oder umarmten Säulen am Flughafen. Alles ausser Dokumentarfotografie war erlaubt. Das Wichtigste bei dieser Übung – und wohl auch bei allen anderen – blieb der Prozess und nicht das Resultat.
Text: Anamaria Novak
«Zeichnen ist denken mit dem Körper»
Unterrichtssituation, Monika Dillier, 2007/2008
Monika Dillier war von 1983-2010 an der F+F Schule Dozentin für Zeichnen. Einer ihrer Unterrichtsziele war es, den Stellenwert des Zeichnens zu steigern, das Verständnis des Zeichnens als kleine Schwester der Malerei, als Vorarbeit etwa für ein Gemälde, eine Skizze, ein Entwurf, zu verändern. Vielmehr galt es die Qualitäten des Zeichnens, das Ephemere, die Leichtigkeit und die Geschwindigkeit hervorzuheben und das Zeichnen als sinnliche Erfahrung zu verstehen. Für Monika Dillier bedeutete und bedeutet Zeichnen «Denken mit dem Körper», ein Bild aus der Bewegung heraus entstehen zu lassen. Zusammen mit Studierenden ergründeten sie die Möglichkeiten des Zeichnens. Sie prüften was es hiess, am Tisch zu zeichnen, auf dem Boden, an der Wand und wie das Zeichnen sich durch unterschiedliche Körperhaltungen und Materialien veränderte. Ein eindrückliches Beispiel ist die Ausweitung einer Zeichnung an der Wand in den Raum und wie das Papier, allmählich in den Raum wachsend, selbst zur Zeichnung wird. Wichtig für den Arbeitsprozess war für Monika Dillier sich viel über die entstehenden Werke mit den Studierenden auszutauschen, zu diskutieren und zu reflektieren und darüber hinaus ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Zusammensein, gemeinsam kochen und essen gehörte ebenso zum Prozess, wie selbständig an Projekten zu arbeiten.
Text: Anamaria Novak
«Man nimmt was auf dem Tisch liegt und dann arbeite ich nachhaltig.»
Materialien, Anita Vrolijk, 2020
Anita Vrolijk unterrichtet an der F+F im HF Studiengang Modedesign, im Vorkurs und in den Jugendkursen. Am heutigen Abend stellt sie ihr Projekt Re-Design vor, das sie an der F+F am gestalterischen Vorkurs leitet. Im Fokus des Projekts steht Nachhaltigkeit: Die Lernenden selbst bringen Materialien mit in den Unterricht oder greifen für ihre Projekte auf das zur Verfügung gestellte Material von Anita Vrolijk zurück. Der Begriff Nachhaltigkeit, so Vrolijk, wird von den Lernenden dabei unterschiedlich ausgelegt. Nachhaltigkeit heisst demnach nichts wegschmeissen oder nichts zerstören und alles wiederverwenden – seien es Schlafsäcke, Regenschirme oder Kleider. Nachhaltigkeit kann aber auch heissen: «Man nimmt was auf dem Tisch liegt und dann arbeite ich nachhaltig.» Materialien zu verwenden also und neu zu interpretieren, von welchen die Lernenden gerade umgeben sind. Nach diesem Einführungsteil, in welchem sich die Schüler:innen mit den unterschiedlichsten Materialien auseinandersetzen und zusammen mit Anita Inspiration aus der Kunst, der Mode und dem Produktdesign schöpfen, eröffnen sich den Schüler:innen individuelle Wege. Während die einen klare Vorstellungen haben und bereits an eigenen Modekollektionen arbeiten, feilen die anderen noch an den Entwürfen ihrer Projekte. Im Experimentieren, im Ausprobieren und im Spiel mit neuen Formen und neuen Silhouetten kommt der Esprit der F+F zum Ausdruck. Formen, die es noch nicht gibt, werden gesucht und gefunden oder Accessoires mit einer bisher unbekannten Funktion werden entworfen. Anita passt sich den unterschiedlichen Bedürfnissen an, gibt beispielsweise Näh-, Stick- oder Strickunterricht und hilft den Lernenden ihre eigene textile Stimme zu finden. Sie unterstützt in ihrem Unterricht sowohl konzeptuelles Arbeiten als auch das Experimentieren mit Farben und Formen, die immer mehr aufkommende Auseinandersetzung mit Genderthematiken oder praktisches Arbeiten wie zum Beispiel die Herstellung von Taschen. Wichtig für Anita ist eine gute Begleitung und Unterstützung der Schüler:innen, damit diese ihre Ideen verwirklichen und ihre Projekte vollenden können, wobei – wie Anita im Verlauf der Präsentation erklärt – sich auch immer wieder die Frage nach der Vollendung eines Stückes stellt: Manchmal braucht es noch einen weiteren Schritt, einen weiteren Schnitt oder Stich und manchmal ist ein Stück in seiner scheinbar unvollendeten Form perfekt.
Text: Anamaria Novak