Walter Pfeiffer – seit den Anfängen dabei, Foto: Walter Pfeiffer, 2021
«Manchmal habe ich richtig Sehnsucht»
Walter Pfeiffer war schon immer Künstler. Vielleicht hatte dies die Kunst aber eher bemerkt als er selbst. Der Kunstunterricht in der allerersten Gründungsklasse für Farbe und Form – damals noch an der Kunstgewerbeschule Zürich, aber schon mit denselben Dozierenden wie später an der F+F – sollte seine Welt auf den Kopf stellen.

«Wenn die Studis heute an die Schule kommen, können sie schon alles! Ich wusste damals nichts von Duchamp und Andy. Ich lernte alles an der Schule. Und realisierte erst dort, dass es noch andere Kreative gibt, ähnlich getrieben wie ich.»

An seine eigene Ausbildung beim Künstler Hansjörg Mattmüller erinnert er sich gern. Die Klasse hob sich ab von der restlichen Schule: «Dort war alles so grau und wir waren so farbig», sagt Walter Pfeiffer, «manchmal habe ich richtig Sehnsucht. Ich vermisse die Leute, die ehemalige Bibliothek.» Der Kunstunterricht hat ihm damals eine neue Welt eröffnet, eine zähe Welt, die ihn nur langsam reingelassen hat und nun nicht mehr loslässt.

Bevor ihn die Kunst an sich band, machte Pfeiffer die Ausbildung bei der EPA. Die Arbeit im Kaufhaus lehrte ihn nicht nur das Handwerk als Dekorateur, sondern bot ihm auch eine Lebensschule: Die stichelnden Intrigen unter den Kolleginnen seien keine schlechte Vorbereitung gewesen auf die Strippenziehereien in der Kunstwelt und in der Modeindustrie, denen er Jahre später als Fotograf begegnen sollte.

Walter Pfeiffer redet angeregt, seine Gedanken springen oft schneller als die Zunge. Er lenkt das Gespräch durch Zeiten und Begegnungen, streut im Vorbeigehen seine Bonmots wie: «Mich fasziniert der Schein, die Realität interessiert mich nicht.» Oder: «Ich gehe immer vom Schlimmsten aus, in der Hoffnung, dass es so schlimm gar nicht kommen kann.» Das Anekdotische ist nicht verwirrend gemeint, sondern eine Einladung, ihm zu folgen.

Die intensive Freundschaft zu seinem damaligen Lehrer und Schulleiter Hansjörg Mattmüller führte Walter Pfeiffer in den 70er Jahren an die neue Gestaltungsschule F+F, die sich 1971 als Gegenentwurf abgespalten hatte von der staatlichen, steif geratenen Kunstgewerbeschule. Hier sollte er nun unter dem Titel Inspiration zeichnen unterrichten. Eine didaktische Ausbildung sollte nicht fehlen, denn – der Walti könne ja so gut mit Menschen – so lockte Mattmüller. Und man mag es ihm glauben, dass kein anderer die Ideen so hätte sprudeln lassen können. Der Blick zurück klingt nicht verklärt: «Es war ein Brotjob. Der Lohn reichte gerade für mich und die Katzen.» Die F+F hat wilde Zeiten erlebt, sie war – und ist – aber auch immer ein Ort, an dem man die Kunst ernst nimmt.

Zunächst war die Fotografie für Walter Pfeiffer Mittel zum Zweck, eine Hilfestellung für seine Zeichnungen. Das angeborene Zittern in der Hand liess ihn den harten Blitz als Stilmittel entdecken. Den Blick für den Moment und das Schöne, das Sinnliche und das Lustvolle, den hat er zeichnend wie fotografierend, damals wie heute. Doch erst nach zähen «Lehr und Wanderjahren», mehreren veröffentlichten Büchern wie Welcome Aboard. Photographs 1980–2000 sowie die Ausstellung In Love With Beauty im Fotomuseum Winterthur 2008, entdeckte ihn die Modeindustrie. Plötzlich war er gefragt bei den grossen Namen.

«Für ein Shooting schickte mir ID Magazine die tollsten und teuersten Stücke von London nach Zürich. Ich inszenierte sie mit meinen Studis an der F+F.» Walter Pfeiffer fotografiert für die Vogue und Dior. Und unterrichtet an der F+F – inzwischen Fotografie.

Mit den Studierenden erwandert er die Schweiz mit dem Fotoapparat, er begleitet Projekte und Publikationen. Was er dem Nachwuchs mitgeben will? «Nicht zu fest an die Karriere denken. Durchhaltevermögen, Pünktlichkeit. Humor, Leidenschaft und Offenheit.» Wie er es geschafft hat? «Schicksal, Glück und ein Blick für Gelegenheiten.» Das ist die kurze Antwort. Ausserdem müsse man es aushalten können, eines «aufs Dach» zubekommen. Erfolg ist harte Arbeit – und Walter Pfeiffer ist ein Workaholic. Er erzählt das alles in der Pause zwischen zwei Aufträgen. «In einem Alter, in dem andere längst die Pension geniessen», schimpft er, aber den Ärger nimmt man dem Arbeitsverfallenen so ganz nicht ab.

Text: Anna Raymann
Valeria Bonin, Grafikerin
«Die F+F ist eher eine Denke als ein Stil.»
«Angefangen hat es mit einem Wasserfall.» Valeria Bonin ist Grafikerin.

Gemeinsam mit Diego Bontognali führt sie seit 2003 das Büro Bonbon. Aus ihrer Feder stamm die Webseite der F+F, die seit fünf Jahren das Bild der Schule im Web bestimmt.

«Die F+F ist immer in Bewegung, es entsteht laufend Neues. Das wollten wir grafisch spiegeln und kamen so auf das Bild des Wasserfalls.» Aufgebaut aus sich mit jeder Suchanfrage neu zusammensetzenden Kacheln, funktioniert die Webseite als dynamisches Archiv. Das Layout entlehnt sich der Aufmachung von Blogs. Meist soll eine Webseite in erster Linie informieren, Bonbon hat für den Auftritt der F+F einen anderen Ansatz gewählt: «Wir wollten überwältigen», sagt Valeria Bonin.
 
Neben digitalen Projekten ist Bonbon bekannt für Buchgestaltungen. Die durch ein autobiografisches Album ergänzte Briefwechselsammlung Meret Oppenheim. Worte nicht in giftige Buchstaben einwickeln wurde 2014 sogar als schönstes Buch der Welt prämiert.

«Letztlich unterscheiden sich Buchseiten aber gar nicht so sehr von Webseiten», meint Valeria Bonin, «Interaktion und Modularität machen Webseiten etwas komplexer, aber in jedem Fall muss man als Grafikerin Informationen strukturieren und organisieren».

Valeria Bonin unterrichtet an mehreren Schulen, auch an der F+F engagierte sie sich über viele Jahre. Stösst sie in ihrer Praxis auf Herausforderungen, bringt sie diese als Fragestellung wieder mit in den Unterricht. Dabei geht es nicht nur um typografisches Regelwerk: «Die Studierenden lernen bei mir, welchen Wert ihre Arbeit hat und wie man diese entwickelt und schützt.» Dass die F+F eine Alternative zu den staatlichen Ausbildungen ist, spürt sie dabei auch an den Studierenden. «Da kommen Leute zusammen, die zuvor Schreinerinnen oder Polygrafen waren. Die Vielfalt führt zu spannenden, neuen Lösungen.» Viele Hochschulen erkennt man an ihrem unterrichteten Grafikstil. Ob die F+F auch einen solchen habe? «Zum Glück nicht, nein», lacht Valeria Bonin, «die F+F ist eher eine Denke als ein Stil».

Text: Anna Raymann
Gopferchlemmi bliib doch Jenny!
Sein Vater war Bauer, Metzger – und Dragoner, seine Mutter eine der ersten Frauen im Glarnerland, die nicht nur Auto fahren konnte, sondern auch ein eigenes Auto besass.

Eigenwilligkeit hat seine Vorfahren stets ausgezeichnet, so auch seine Eltern – und ihn selbst. «Ich habe gelernt, die Berge «tief» zu halten», sagt Peter Jenny. «Das gilt auch dann, wenn man oben auf der Spitze ist, ganz besonders im Nebel: Da wird der Berg zum fliegenden Teppich. Fantasie und Träume bleiben wichtig.»

Peter Jenny hat in Glarus Schriftsetzer gelernt und 1964 die Prüfung zum Vorkurs der Kunstgewerbe­schule in Zürich bestanden, wo er bei Serge Stauffer auch fotografieren lernte. Er hatte aber schon da seine liebe Mühe mit der etablierten Art des Unterrichts: «Uns wurde einmal die Aufgabe gestellt, ein Buch mitzubringen, das uns viel bedeutete. Die Schülerinnen und Schüler mit meist gebildeten Eltern legten «Die Kunst des Bogenschiessens» oder die Tagebücher von Paul Klee vor. Ich brachte einen alten Ackermann-Katalog mit. Darin befanden sich richtige Wollfäden. Die wunderbarsten Farben wurden greifbar». Als Peter Jenny als grosser aber kritischer Bauhausfan miterleben musste, wie 1964 in Zürich derselbe Bauhausunterricht mit Farbenlehre, Perspektive und Modellieren über die Bühne ging, wie 1919 schon am Bauhaus – da wusste er: Es muss etwas geschehen. Peter Jenny wechselte in die Klasse «Farbe+Form». Die «F+F» war Avantgarde. Hier wurde man zum Nachdenken animiert, aber auch stark durch die damaligen Kunstrichtungen geprägt. «Ich wollte aber nie Künstler werden. Mich interessierten die Grundlagen der Gestaltung. Ich wollte Probleme lösen. Künstler arbeiten jedoch auch ohne ein Problem lösen zu müssen.»

Peter Jenny verliess die Schule und gestaltete ab 1965 die Zeitschrift «du». In dieser Zeit lernte er Robert Frank, René Burri und Henri Cartier-Bresson kennen – und wollte Bildredaktor beim «Stern» werden, der lange als eines der deutschsprachigen Leitmedien galt. Dazu kam es nicht. Stattdessen kreierte er einen neuen Vorkurs, in dem er seine Vorstellungen von der Schulung der Wahrnehmung verwirklichen konnte. Der damalige Schuldirektor meinte jedoch, wenn Peter Jenny einen Vorkurs übernähme, würde niemand mehr etwas über den Maler Max Gubler lernen. Seine Ideen konnte er dennoch in verschiedenen Vorkursklassen in dem von ihm unterrichteten Fach «Information» verwirklichen: «Wir spielten auf dem Platzspitz «Himmel und Hölle»: Wer lockt die Tauben am besten mit Fütterungstechniken ins Spielfeld? Oder wir übten uns im Püürli werfen.»

1970 hat Peter Jenny dann doch gekündigt. Die Schülerinnen und Schüler protestierten postwendend: «Gopferchlemmi bliib doch Jenny!». Dies war die erste öffentliche Demo an der Schule, doch es half nichts: Jenny ging – zusammen mit den Dozierenden Doris und Serge Stauffer, Hansjörg Mattmüller und allen Studierenden der Klasse – und gründete mit den Stauffers und Mattmüller die unabhängige «F+F – Schule für experimentelle Gestaltung». Da unterrichtete er bis 1977. Ende der 90er-Jahre kam er für eine kurze Zeit in die Schulleitung der F+F zurück.

1977 wurde Peter Jenny Professor an der Architekturabteilung der ETHZ, wo er das Hauptfach Grundlagen der Gestaltung unterrichtete. Er experimentierte zusammen mit den Studentinnen und Studenten an Kamera-Obscuras aus Schweineblasen, kreierte eine Linienlehre mit Kopfhaaren und erfand unzählige Übungen, um seine Theorien des ganzheitlichen Lernens umzusetzen. Von 1990 bis 1993 war er Vorsteher der Architekturabteilung.
 
2005 erschien ‒ quasi als Abschiedsvorlesung – sein tolles Werk «Metaphern zur Wahrnehmungs­kunst». Das Buch ist eine Anleitung für offene Geister, in einer immer abstrakteren Welt grundsätz­liche Betrachtungsfähigkeiten und Ausdruckskraft zurückzugewinnen und in der Bilderflut den Blick auf Darstellungen zu schärfen. Es geht Peter Jenny in seiner Wahrnehmungsschule nicht in erster Linie darum, zeichnerische Fertigkeiten zu erlangen, sondern Spielfreude und Fantasie zu entwickeln.
 
Heute wirkt er wieder im Glarnerland. Er arbeitet weiter an seiner Schule für Autodidaktinnen und Autodidakten, holt anderenorts verpönte Kunst ins Tal und bemüht sich, dem Kulturleben in seinem Umfeld einen fruchtbaren Boden zu bereiten.

Text: Matthias Gallati
Thomas Miller, Student F+F 1975–77, Zeichnungslehrer, Zeichnung: Thomas Miller
Kunst und Leben als Einheit
Am ersten Schultag war er pünktlich vor Ort, so, wie er es sich von zuhause gewohnt war. Nur: sonst war kein Mensch da.

«Irgendwann kam Serge Stauffer mit rauchender Zigarette im Mund auf seinem Velosolex angerauscht. Ich war der Einzige, der pünktlich an der F+F im Drahtschmidli war», konstatiert Thomas Miller. Für ihn war die F+F eine Offenbarung. Thomas Miller kam aus der Enge der Ostschweiz, machte zuerst eine vierjährige Lehre als Bauzeichner. Seine Eltern legten Wert darauf, dass er einen krisensicheren Beruf erlernt. Aufgrund der Ölkrise hatte das Büro in dieser Zeit jedoch keine Arbeit.

«Damals habe ich in einer WG in St. Gallen gewohnt. Alle hatten Freude an der Kunst und ich den Wunsch, mich künstlerisch weiterzuentwickeln. Der Schweizer Konzeptkünstler H.R. Fricker hat uns von der F+F erzählt. Also besuchte ich da einen Ferienkurs.» Thomas Miller gefiel die Atmosphäre an der Schule so gut, dass er sich für die Klasse bewarb. Er traf mit seiner Mappe unter dem Arm die beiden Gründer Hansjörg Mattmüller und Serge Stauffer. Alles lief gut. Er wurde aufgenommen. «Meine Eltern haben mir zwei Jahre Ausbildung an der F+F bezahlt. Zum Glück wussten sie nicht, was die F+F ist.»

Vor dem Eintritt in die F+F hat Thomas Miller in St. Gallen Abendkurse bei Carl Meffert besucht. Das sollte sich als eine wegweisende Begegnung erweisen. Carl Meffert war ein antifaschistischer Gebrauchsgrafiker, der aus Nazideutschland in die Schweiz und später nach Argentinien flüchten musste. Unter seinem Pseudonym Clément Moreau hat er unter anderem sein Hauptwerk Nacht über Deutschland, eine Serie von Linolschnitten über die Gräuel der Folter, über Gefängnis und Flucht, veröffentlicht. Thomas Miller hat während seiner Zeit an der F+F begonnen, zusammen mit dem Kunsthistoriker Guido Magnaguagno, das Lebenswerk von Carl Meffert/Clément Moreau wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Die F+F war für Thomas Miller auch sonst prägend. «Wir konnten frei arbeiten und die Lehrerinnen und Lehrer vergaben keine Noten. Man muss sich das vorstellen! Die Benotung als Belohnung oder als Strafe steht am Ende einer sorgfältigen Leistungsobservierung. Die Bewertung, ein säkularisiertes Fundament der bürgerlichen Gesellschaft wird von der Gründerin und den Gründern der F+F in Frage gestellt – der Ärger der Institutionen war ihnen sicher.»

Subversiv waren auch seine Arbeiten: In Venedig konnte er im Rahmen der Einladung der F+F seine Fotoserie Erinnerungen zeigen. «Ich fotografierte alle Räume in der elterlichen Wohnung und beschrieb minutiös, was ich darin erlebt habe. Die eindringlichen Schwarz-Weiss-Fotos des Büros seines Vaters, des Elternschlafzimmers und der anderen Räume vermitteln ein düsteres Bild seiner Kindheit. «Dazu angeregt hat mich der Zyklus Fürsorgeerziehung von Carl Meffert und das Arbeitsklima an der Schule ermöglichte mir eine künstlerische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte.»

Die Fotoserie erschien später in der deutschen Zeitschrift für zeitgenössische Fotografie Glasherz. Für diese Arbeit wurde ihm 1977 das Kunststipendium der Stadt Zürich zugesprochen. «Das war eine gute Voraussetzung für den Weg in die Kunst. Andererseits musste ich Geld verdienen. Ein Freund machte mich darauf aufmerksam, auf dem freien Weg an der Kunstgewerbeschule die Ausbildung als Zeichnungslehrer zu absolvieren.» Im Gegensatz zur offenen Art an der F+F wurde hier traditionell Kunstgeschichte und Architektur unterrichtet. Bezüglich des künftigen Berufs war die Mischung aus Avantgarde und Tradition für ihn jedoch sehr bereichernd.

Danach hat er 36 Jahre in Winterthur als Zeichnungslehrer gewirkt. Das Vermitteln von Kunst, ein Fachbereich, der im Ansehen des gymnasialen Fächerkanons nicht an erster Stelle steht, war für Thomas Miller eine Herausforderung in der entgegengesetzten Richtung: Der Notendruck war viel geringer als in anderen Fächern. Die Schülerinnen und Schüler kamen deshalb gerne. Sie konnten entspannt mitmachen und mussten sich nicht ständig fragen, ob ihre Leistungen genügend sind. Der Gegensatz von Kunst und Leben löste sich auf.

Dass Kunst und Leben eine Einheit bilden sollen, ist das Credo von Thomas Miller. «Künstler sollten nicht nur auf der Bühne Künstler sein, sondern die Kunst leben – so, wie es die Dadaisten oder die Surrealistinnen versucht haben.» Ein wunderbares Beispiel seiner Überzeugung hat er mir zum Schluss erzählt: «Serge Stauffer bekam 1986/87 einen Lehrauftrag für Kunst- und Kulturgeschichte an der Schule für angewandte Linguistik. Ich folgte seiner Einladung. An der ersten Vorlesung war der Saal übervoll. Die künftigen Übersetzerinnen und Übersetzer holten sich die Semesterbestätigung. In der Pause lichteten sich die Reihen und in der folgenden Vorlesung waren wir nur noch zu Dritt. Ein Semester lang bereitete sich Serge für uns vor. Ihn kümmerte es nicht, dass wir nur drei Nasen waren. Die Aufhebung der Trennung von Kunst und Leben habe ich nie zuvor so wunderbar erfahren!»